Vor nicht allzu langer Zeit hatten wir mit dem Mercedes-Benz EQS 580 4matic die aktuelle Speerspitze der vollelektrischen Modellpalette von Mercedes-Benz zum Test zu Besuch. Da der EQS selbst in der Basis als ‚350‘ aktuell knapp 98.000€ kostet, bleibt der EQS aber vorerst umweltbewussten, Technologie-begeisterten Firmenvorständen und besonders solventen (Privat)Kunden vorbehalten. Nun hat Mercedes-Benz allerdings zur Testfahrt der „neuen Business-Avantgarde“ in Form des EQE eingeladen. Wir führen die neue Mittelklasse-Limousine als EQE 500 4matic aus.
Technisch ein kleiner EQS
Mit dem EQS stellte Mercedes-Benz im Juli 2021 das erste Fahrzeug auf der neuen EVA2-Plattform vor. Besonders auffällig ist hier der extrem niedrige cw-Wert von bis zu 0,20 und die, in Kombination mit dem knapp 109 kWh großen Akku, hohe Reichweite von bis zu 600 Kilometer im Alltag. Der neue EQE erbt die EVA2-Plattform vom EQS, allerdings verbaut Mercedes-Benz hier nur zehn statt zwölf Akkumodule, was die Akkukapazität auf – immer noch sehr gute – knapp 90 kWh reduziert. Auch optisch ähnelt der EQE mit flach stehender Frontscheibe und runden Formen dem EQS stark. Allerdings ist der EQE etwa 20 Zentimeter kürzer, was den cw-Wert im Vergleich zum EQS ein wenig verschlechtert, denn die Luft wird am Heck weniger lang geführt.
Geringes Geräuschniveau im EQE
Doch wie fährt er nun, der neue EQE? Wir fahren die aktuelle zivile Topmotorisierung EQE 500 mit 300 kW bzw. 408 PS und Allradantrieb. Zudem ist unser Testwagen mit der optionalen Luftfederung der optionalen Allradlenkung ausgestattet. Zu Beginn fällt vor allem das sehr geringe Geräuschniveau im Innenraum auf. Auch wenn Mercedes-Benz den EQE mit unterschiedlichen ‚Sound Experiences‘, also verschiedenen ‚Motorgeräuschen‘ im Innenraum ausliefert: Wir würden diese deaktivieren, denn der EQE ist im Innenraum bis etwa Tempo 170 extrem leise. Dann auch wenn im EQE im Vergleich zum EQS nur die vorderen Seitenscheiben doppelt verglast sind, können wir auch bei höherem Tempo kaum Windgeräusche wahrnehmen.In Kombination mit dem auf Wunsch sehr komfortablen Luftfahrwerk stellt sich so auf der Langstrecke ein Komfortniveau auf Augenhöhe mit dem EQS ein.
Gute Kurvenlage, schwammige Bremse
Doch von einem ‚500er‘ erwarten wir natürlich mehr als Langstreckenkomfort. Also ab auf den Feldberg im Taunus mit seinen kurvenreichen Landstraßen. Hier betritt, wie beim EQS, die Hinterradlenkung – je nach gewählten Reifendimensionen – mit bis zu 10° Lenkwinkel die virtuelle Bühne. Denn trotz der kurzen Überhänge sowie dem langen Radstand von 3,12 Metern fährt der EQE hier handlich wie ein Golf. Zu Beginn neigen wir sogar dazu tendenziell zu früh in die Kurve einzubiegen, da der Kurvenradius hier überraschend klein ist. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase sorgt der EQE auch dank der üppigen Leistung dann aber für ordentlich Spaß. Lediglich die gut 2,5 Tonnen lassen sich bei dynamischer Fahrt nicht vollständig wegdiskutieren. Ebenso wenig wie das diffuse Bremsgefühl. Zwar verzögert der EQE die meiste Zeit rein durch Rekuperation, doch bei sehr starken Bremsungen müssen doch die Bremsscheiben bemüht werden, was in einem schwammigen, langen Bremspedalweg resultiert.
EQE 500: Geringer Verbrauch dank geringem cw-Wert
Also doch lieber gleiten in unserer spektralblauen Elektrolimousine. Und beim Thema Elektro schwingt auch oft die sogenannte Reichweitenangst mit. Doch auch hier kann der EQE 500 überzeugen. Auf unserer Probefahrt über Langstraßen sowie auf der Autobahn über gut 250 Kilometer haben wir einen Verbrauch auf 22 kWh/100km erzielt, was einer alltagsnahen Reichweite von gut 400 Kilometern entspricht. Besonders hilfreich ist hier die Nutzung der ‚intelligenten Rekuperation‘. Hier nutzt der EQE Navigations-, Kamera- und Radardaten und entscheidet selbstständig, ob es sparsamer ist lange zu Rollen oder stärker zu Rekuperieren. Das funktioniert so gut, dass wir fast nicht mehr selbstständig bremsen müssen.
Hightlight auf der Langstrecke: Intelligente Routenplanung
Ist die Akkukapazität dann doch erschöpft heißt es nachladen. Dank intelligenter Routenplanung schlägt der EQE im Rahmen der Navigation automatisch geeignete Ladesäulen vor, inklusive zu erzielendem Ladestand und geschätzter Ladedauer. Diese Funktion konnte uns schon im EQS überzeugen und auch der EQE arbeitet hier tadellos. Lediglich bei der maximalen Ladeleistung von 170 kW muss der EQE im Vergleich zum EQS (200 kW) leichte Abstriche machen. An AC-Ladesäulen lädt der EQE serienmäßig mit 11kW und optional mit 22kW nach, was dem klassenüblichen Standard entspricht.
Innenraum fast wie im EQS
Auch im Innenraum erinnert der EQE stark an den EQS und erbt zahlreiche Ausstattungsoptionen vom großen Bruder, beispielsweise den optionalen 1,41 Meter breiten Hyperscreen und das tolle optionale Augmented-Reality-HUD, welches Spurwechsel, Navigationsanweisungen und vorausfahrende Fahrzeuge im Sichtfeld einblendet. Auch das ‚Digital Light‘ mit 1,3 Millionen Pixeln pro Scheinwerfer (unser Video zum Mercedes Digital Light) lässt sich im EQE bestellen. Lediglich in der zweiten Reihe müssen sich Mitfahrer etwas einschränken. So ist der Fußraum zwar noch üppig aber nicht ganz so fürstlich wie im EQS und die Kopffreiheit ist für Menschen über 1,90 Meter etwas eingeschränkt. Zudem müssen die Fahrgäste in der zweiten Reihe auf Bildschirme an den Rücksitzlehnen verzichten.
EQE 500: Kein günstiges Vergnügen
Mit dem EQE 500 präsentiert Mercedes-Benz eine tolle, trotz 408 PS überraschend sparsame Reiselimousine mit exzellenter Routenplanung. Den besonders sportlichen Auftritt überlässt der ‚500er‘ aber den EQE-AMG-Modellen mit aktuell bis zu 687 PS. Auch als zivile Version ist der EQE allerdings kein ganz günstiges Vergnügen. Los geht es derzeit als EQE 350+ für gut 70.000€. Für unseren EQE 500 liegen noch keine genauen Marktpreise vor, unser sehr gut ausgestatteter Testwagen dürfte die 100.000€-Grenze allerdings überschreiten.