Porsche und SUV? Das gibt’s schon länger – seit Anfang der 2000er, genau genommen. Ende 2002 hat Porsche damals die erste Generation des Cayenne vorgestellt. Seit 2017 ist die dritte Generation des Cayenne bestellbar, seit 2019 gibt es den Cayenne auch als „SUV Coupé“. Wir haben die Möglichkeit eine Woche das aktuelle Topmodell „Cayenne Turbo GT“ mit 640 PS und 850 Nm Drehmoment zu fahren.
Topmodell? Der Cayenne Turbo S E-Hybrid bietet doch noch mehr Leistung (680 PS) und Drehmoment (900 Nm)? Richtig – und doch ist der Turbo GT schneller auf 100 (3,3 Sekunden, minus 0,6 Sekunden), bietet die größere Höchstgeschwindigkeit (300 km/h, +14 km/h) und verfügt über die sportlichere Ausrichtung.
Im Vergleich zum „normalen“ Cayenne Turbo hat Porsche den Motor nochmals deutlich überarbeitet. Hand wurde unter Anderem an Kurbelwelle, Pleuel, Kolben und Steuerkettentrieb gelegt. Dazu wurden Benzineinspritzung, Turbolader, Ansaugung und Ladeluftkühlung weiter optimiert. Zwar bleibt der Turbo GT mit 640 PS nominell hinter dem Konzernbruder Lamborghini Urus (650 PS) zurück. Doch hinter vorgehaltener Hand munkelt man, dass Porsche bei der Optimierung eher über das Ziel hinausgeschossen ist und die Motoren des Turbo GT deutlich „nach oben streuen“.
Außen Carbon, Innen Alcantara
Doch beginnen wir am Anfang: Mitte Oktober, München – Übergabe des Testwagens in Sonderfarbe „arktikgrau“ (2380€) mit Felgen in „tiefseeblau seidenglanz“ (547€). Erster Eindruck: Unscheinbar. Natürlich ist ein Porsche Cayenne Coupé ein stattliches Fahrzeug, aber 640 PS vermutet man trotzdem nicht in einem SUV. Der Blick fällt am Heck auf die mittig angeordneten Endrohre der Titanabgasanlage im Diffusor aus Sichtcarbon. Der 911 GT3 grüßt an dieser Stelle. Darüber hinaus verfügt der Turbo GT über seitlichen Flügel (Porschesprech „Sideplates“) an der Dachabrisskante, ebenfalls aus Sichtcarbon, genau wie das Dach. An der Front übernimmt der Turbo GT natürlich die Turbo-spezifischen, doppelt ausgeführten Positionsleuchten.
Im Innenraum dominiert dagegen graues Alcantara. Armaturenbrett, Lenkrad, Dachhimmel und Sitzmittelbahnen sind serienmäßig mit dem Mikrofaserstoff bezogen. Leder gibt es natürlich auf Wunsch. Immer serienmäßig gibt es das Sport-Chrono-Paket mit großer Stoppuhr im Armaturenbrett und Fahrmodus-Wahlrad am Lenkrad – inklusive rotem Sport-Response-Knopf. Warum sich auf der Rückbank ein großes hässliches „Loch“ auf dem ehemals mittleren Sitzplatz auftut weiß dagegen wohl nur Porsche selbst.
Spätestens mit drehen am Schlüsselersatz links vom Lenkrad wird klar, dass wir nicht in einem „normalen“ Cayenne Coupé sitzen, denn hier startet ein V8 mit vier Litern Hubraum, der morgens beim Kaltstart die Nachbarn weckt – auf einen Mittelschalldämpfer verzichtet Porsche. Wir rollen gemächlich los und der Turbo GT schiebt in der ersten langsamen Kurve leicht über die Vorderräder. Genaue Werte gibt es nicht, doch der Sturz an der Vorderachse ist im Vergleich zum Turbo Coupé nochmals um 0,45° vergrößert worden. In Kombination mit den serienmäßigen Semislicks (Pirelli P Zero Corsa) und feuchter, kühler Straße sorgt dies bei langsamem Tempo für leichtes Untersteuern.
Der Cayenne Turbo GT fährt wie ein Sportcoupé
Also raus aus der Stadt und rauf auf die Landstraßen im Alpenvorland. Sobald die Reifen auf Temperatur sind und man sich als Fahrer an die Dimensionen des Fahrzeugs gewöhnt hat (Breite mit Spiegeln knapp 2,20 Meter), liefert der Cayenne Turbo GT. Und wie. Dank serienmäßigem Wankausgleich und Hinterachslenkung nimmt der Cayenne Turbo GT Kurven jeden Radius spielerisch. Die straffe Lenkung meldet dabei genau zurück, wie es um den Grip an der Vorderachse bestellt ist, Fahrwerk und Getriebe straffen sich im Sport+-Modus ohne allzu bockig über Bodenwellen zu springen. Wer möchte schaltet dabei über die gut positionierten Schaltwippen aus Metall, wobei die 8-Gang-Wandlerautomatik auch von selbst treffsicher schaltet. Passend zur Gangart untermalt der V8 die Ausfahrt mit einem Klangrepertoire von sanft blubbernd bis heiser kreischend, ganz ohne künstlichen Soundgenerator. Ein hoch auf den Verbrennungsmotor.
Wäre da nicht die hohe Sitzposition könnte man glatt meinen, man sitzt in einem Sportcoupé. Selbst das Gewicht von 2,2 Tonnen kaschiert der Cayenne Turbo GT überraschend gut. So lassen sich die Grenzen des Turbo GT diesseits des Landstraßentempos nur erahnen. Falls man es doch einmal übertreiben sollte fängt die serienmäßige, sehr gut dosierbare und auf Wunsch stramm zupackende Porsche-Ceramic-Composite-Brake (PCCB) den Cayenne sicher wieder ein.
Wochentags Kilometerfresser, Sportwagen am Wochenende
Die unglaubliche Leistung des Cayenne Turbo GT erfährt man – abseits der Rennstrecke – noch am ehesten auf der unbegrenzten Autobahn. Hier schiebt der Motor selbst jenseits der 180 noch dermaßen an, dass man teilweise glaubt der Tacho geht falsch. Erst bei Tempo 315 bleibt der Tacho stehen – und das in einem SUV. Da das serienmäßige Luftfahrwerk im Normalmodus ausreichend Komfort bietet pendelt sich das Reisetempo auf der freien Autobahn gerne bei Tempo 200 ein – was im Turbo GT, auch dank der optionalen Akkustikverglasung an allen vier Fenstern, aber eher wie Tempo 130 wirkt.
Cayenne Turbo GT: Erprobter Fahrer empfohlen
Und doch erfordert die Fahrt mit dem Cayenne Turbo GT eine kundige Fahrerhand. Zum Einen wegen der unglaublichen Leistung, die selbst das Leistungsempfinden eines PS-erprobten Redakteurs neu einnordet. Zwar ist der variable Allradantrieb serienmäßig an Bord und an der Hinterachse sind Reifen mit 315mm Breite montiert. Und trotzdem drückt der Cayenne öfter mit dem Heck, was schnelle Lenkkorrekturen erfordert. Zum Anderen funktionieren die Reifen zwar auf Arbeitstemperatur sehr gut. Doch bei leicht feuchter Strecke kann (aus eigener Erfahrung) auf der Autobahn bei Tempo 200+ unter Last auch mal das Heck ausbrechen.
Grundpreis 196.000€ – ohne Extras
Schade ist zudem, dass der Cayenne Turbo GT trotz des strammen Grundpreises von gut 196.000€ erstaunlich schlecht ausgestattet ist. Matrix-LED-Scheinwerfer, Headup-Display, Totwinkelwarner, Spurhalteassistent oder die empfehlenswerten 18-Wege-Sitze lässt sich Porsche für teures Geld extra bezahlen.
Auch wenn bei einem Basispreis von knapp 200.000€ die Spritkosten die potenziellen KäuferInnen eher nicht interessieren dürften, noch ein kurzer Blick auf unseren Benzinverbrauch. Im Bummeltempo auf der Autobahn gönnt sich der Cayenne Turbo GT gut 9 Liter auf 100 Kilometer – hier wird die Hälfte der Zylinder über die variablen Einlassnockenwellen abgeschaltet. Im Mittel haben wir etwa 15 Liter Super Plus auf 100 Kilometer verbrannt. Wer es sportlich angehen lässt auch schnell 25 Liter und mehr auf 100 Kilometer durch die Brennräume. Immerhin ist der Kraftstofftank mit 90 Liter Fassungsvermögen serienmäßig dabei.
Fazit
Braucht’s das? Nein. Ist’s vernünftig? Nein. Ist’s zeitgemäß? Sicherlich nicht. Macht’s Spaß? Unglaublich. Mit dem Cayenne Turbo GT krönt Porsche die aktuelle Baureihe standesgemäß und verleiht dem Cayenne eine ungeahnte Dynamik – sowohl längs als auch quer. Der kleine Bruder Macan GTS, den wir einige Woche zuvor in Norwegen ‘erfahren’ durften, verblasst dazu im Vergleich deutlich. Der Grundpreis von gut 196.000€ für den sportlichsten Cayenne stimmt allerdings nachdenklich – zumal die Serienausstattung mager ausfällt. Unter 210.000€ dürfte kaum ein Cayenne Turbo GT vom Hof des örtlichen Porschehändlers rollen.
Technische Daten Cayenne Turbo GT
Leistung/Drehmoment | 471 kW (640 PS) / 850 Nm |
Hubraum | 3996 cm³ |
Getriebe: | 8-Gang-Tiptronic S (Serie) |
Antrieb: | Allradantrieb |
Abgasnorm | Euro 6d–ISC-FCM |
0-100 km/h: | 3,3 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 300 km/h |
Leergewicht (DIN) | 2220 kg |
Verbrauch kombiniert (WLTP) | 14,1 Liter / 100 Km |
Kofferraumvolumen | 482 / 1464 L |
Felgen | 22 Zoll (Serie) |
Anhängelast | Entfällt (Endrohre mittig) |
Basispreis | 196.078€ |
Testwagenpreis | ca. 211.100 € |
Die Konfiguration unseres Testwagens gibt es hier: Fahrzeuginformationen Cayenne Turbo GT Coupé S-GO 8612.